Alles steht auf dem Prüfstand
Bald erscheint die möbelfertigung-Ausgabe 4/23 mit zahlreichen Interviews, Berichten, neuen Produkten und Blicken über den Tellerrand. Im Fokus der Ausgabe stehen natürlich die Nachberichte zu den Weltleitmessen Interzum und Ligna. Dazu kommt das ausgedehnte Dekor-Special mit News und Neuheiten aus dem Bereich Oberflächen.
Wie immer hat die Redaktion in einem Kommentar die aktuelle Lage der Branche sowie jüngste Entwicklungen aufgegriffen. Und weil es gerade sehr viel gibt, das sich zu besprechen lohnt, veröffentlichen wir diesen Kommentar schon einmal als Vorgeschmack auf die kommende Ausgabe.
Alles steht auf dem Prüfstand
Etwa 2.900 Aussteller und mehr als 140.000 Besucher:innen aus aller Welt – nach vier Jahren war Deutschland mit „Interzum“ und „Ligna“ endlich wieder der Hot-Spot der globalen Möbelwelt. Und sowohl in Köln, als auch in Hannover war die Stimmung nahezu euphorisch. Beide Weltleitmessen haben ihre globale Führungsrolle ausgebaut. Auch wenn auf der „Interzum“ relevante Player fehlten.
Wobei der emotionalen Komponente diesmal eine noch größere Bedeutung zukam, als der Produktschau. Viele Marktteilnehmer:innen hatten sich noch nie oder sehr lange nicht face-to-face gesehen. Die Leitmessen unterstrichen, dass persönliche Gespräche nicht ersetzbar sind. Und dass Geschäfte von Menschen gemacht werden.
Auch wir hatten richtig Spaß an Rhein und Leine. Wir durften viele Menschen treffen, tolle Gespräche führen, feiern, haben dabei aber nie den Fokus verloren: Mit unseren Strecken zu „Interzum“ und „Ligna“ helfen wir Ihnen, liebe Leser, den Überblick zu behalten. Wir haben die Treiber und Trends für Sie geclustert, um Ihnen einen Überblick zu verschaffen, was Ihr Geschäft in den kommenden Jahren bestimmt. Von A wie Automation über E wie Eco-Design, H wie Holzbau, M wie Miniaturisierung, N wie Nachhaltigkeit, O wie Oberflächenstrukturen bis hin zu W wie Woodworking Transformation.
Alles riesig also im Möbelkosmos Deutschland und bei den Messegesellschaften? Leider nein: Zwei Wochen wurden von fast allen, die auf den Events ausgestellt oder sie besucht haben, die bereits existierenden Herausforderungen ausgeblendet. Unter dem Motto: „Wir haben uns drauf gefreut, jetzt lassen wir uns das große Happening nicht kaputt machen.“
Jetzt, zwei Monate später, sind aus Herausforderungen vielerorts handfeste Probleme geworden. Kaum eine Woche ohne Insolvenzen. Einige Unternehmen hangeln sich von Monat zu Monat. Der Wohnungsneubau ist eingebrochen. Zum Beispiel in Hamburg: Dort ging die Zahl der genehmigten Wohnungen im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr im 47 Prozent zurück. Bauen, wurde vermeldet, sei aktuell so teuer, dass Kaltmieten von 18 bis 20 Euro aufgerufen werden müssen. Das sei unbezahlbar.
Die Inflation ist endgültig in der Mittelschicht angekommen. Themen wie das Gebäudeenergiegesetz sind da quasi der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Menschen seien tief verunsichert, was sich in einer starken Kaufzurückhaltung im unteren und mittleren Möbel-Preissegment niederschlage, schreiben VDM, VHI und BVDM in einem offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Aufträge in der Möbel- und Zulieferindustrie seien stark zurückgegangen. Ein Viertel der deutschen Möbelhersteller habe Kurzarbeit beantragt oder plane dies im zweiten Halbjahr. Ein Sofortprogramm für den stockenden Wohnungsbau müsse her. Ein Brandbrief, der die Dynamik der Situation unterstreicht. Denn wer aktuell noch Geld übrig hat, steckt es zum Beispiel lieber in Reisen. Weil es einen Nachholbedarf gibt.
Da Wirtschaft immer auch Psychologie ist, zeigt sich die Gemengelage auch für die Messe-Dickschiffe „Interzum“ und „Ligna“ aktuell nicht optimal. Die Geschäfte vieler Unternehmen liefen während der Corona-Pandemie prächtig – ohne Messen. Jetzt wurden erstmals wieder zum Teil millionenschwere Budgets ausgegeben, und die Geschäfte stagnieren oder brechen ein. Ein kausaler Zusammenhang ist an den Haaren herbeigezogen, psychologisch macht es aber etwas mit den Verantwortlichen in den Firmen.
So oder so sind Messen und ihre Konzepte nicht mehr per se gesetzt: Wenn das Wichtigste das persönliche Treffen auf den Marktplätzen ist, wäre es dann nicht konsequent, weniger Produkte
mitzubringen? Das würde weniger Fläche bedeuten… Alles steht auf dem Prüfstand, überall.
Auch bei uns. Deshalb freuen wir uns umso mehr, wenn unsere Angebote gut angenommen werden: Die „Surface in Motion – Technology & Design Conference“, am 26. und 27. September in Wiesbaden steuert auf ein erneut ausverkauftes Haus zu. Das Programm des Kongresses „Effiziente Möbelfertigung in der Praxis“ am 6. und 7. Dezember in Düsseldorf steht und zahlreiche Anmeldungen liegen bereits vor. Und mit den „Personaltagen“ in Löhne am 12. und 13. Dezember haben wir rund um den allgegenwärtigen Fachkräftemangel offensichtlich einen Nerv getroffen.
Positiver Loop zum Ausstieg? Die Möbelbranche hat schon ganz andere Krisen überstanden. Irgendwann im Herbst werden staatliche Förderprogramme die Wirtschaft ankurbeln (müssen), ist sich der ein oder andere Branchenteilnehmer sicher. Und: In jeder Krise liegt auch eine Chance, frag‘ nach bei XXXLutz…
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