Dienstag, 23.11.2021, 11:11 Uhr
Hettich
Pilotprojekt für eine nachhaltigere Produktion
Beim Beschlagspezialisten Hettich hat die Zukunftsreise in Richtung
„grüner Stahl“ bereits begonnen: In einem Pilotprojekt hat das
Unternehmen in diesem Sommer Kaltband-Coils mit reduziertem
CO2-Fußabdruck aus deutscher Herstellung für Komponenten seiner
Topfscharnierserie Sensys bezogen. Die ersten Qualitätsprüfungen waren
positiv, und das ist ein ermutigendes Ergebnis für Hettich. Langfristig
möchte man gemeinsam mit Kunden und Partnern möglichst nicht nur
CO2-arme, sondern sogar CO2-neutrale Produkte entwickeln und herstellen.
Jan Hobert, Lead Buyer Stahl bei der Hettich Management Service GmbH in
Kirchlengern, hat das Hettich-Pilotprojekt „CO2-armer Stahl” betreut.
„Die ersten drei Kaltband-Coils, die wir im September von der Bilstein
Group bezogen haben, weisen gegenüber konventionell erzeugtem Stahl
einen deutlich reduzierten CO2-Fußabdruck auf. Über den gesamten
Fertigungsprozess sind über 70 Prozent weniger CO2-Emissionen
angefallen.” In absoluten Zahlen heißt das: Nur 630 kg/t CO2 gegenüber
2.190 kg/t. Allein mit diesen drei Coils wurden also rund 90 Tonnen CO2
eingespart. Dies entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von 50 PKW bei
einer durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 15.000 km pro Jahr. In
der gesamten Hettich Gruppe liegt das Vermeidungspotential durch den
Einsatz des klimafreundlicheren Materials bei über 450.000 Tonnen CO2
pro Jahr. Aber auch das zweite Ergebnis dieses Testlaufs ist für Hettich
zukunftsweisend, wie Jan Hobert erklärt: „Unsere internen Tests
belegen, dass der CO2-arme Stahl dem konventionellem Material in puncto
Qualität und Verarbeitbarkeit in nichts nachsteht.”
Das Pilotprojekt bei Hettich war zunächst auf ein ausgewähltes
Scharnierbauteil begrenzt, denn größere Mengen des CO2-armen Stahls sind
kurzfristig nicht lieferbar und noch ist der Aufpreis pro Tonne
erheblich. Außerdem lässt sich derzeit nicht abschätzen, ob und wie die
Serienherstellung von CO2-reduzierten Produkten künftig möglich sein
wird. In jedem Fall werden weitreichende Umstellungen in Zulieferung und
Produktion notwendig sein. Bei Hettich ist man dennoch entschlossen,
diesen Kurs weiter zu verfolgen, betont Geschäftsführer Uwe Kreidel:
„Das Pilotprojekt war nur ein erster, wichtiger Schritt dem Weg zur
Verarbeitung von CO2-reduziertem Stahl in der Serie. Wir arbeiten weiter
an neuen Lösungen und freuen uns über interessierte Kunden, mit denen
wir über den Zwischenschritt der CO2-armen Produkte langfristig sogar
CO2-neutrale Produkte entwickeln können. Es ist eine Zukunftschance, die
wir unbedingt nutzen möchten.”
Für den Beschlaghersteller Hettich ist Stahl von jeher ein zentrales
Thema. Die vorteilhaften Werkstoffeigenschaften, die dieses Material
mitbringt, sind maßgeblich für die hohe Qualität und Langlebigkeit der
Produkte: Stahl ist zu 100 Prozent recyclingfähig und sogar
„multi-recyclingfähig“, das heißt, er lässt sich unendlich oft
einschmelzen und wiederverwenden. Außerdem kann man Stahl durch
Legieren, Nachbehandlungen und Weiterverarbeitung gezielt an neue
Anforderungen anpassen. Er lässt sich leicht zerteilen, pressen und
transportieren, und da Stahl magnetisch ist, kann man ihn leicht
sortieren und trennen. In seiner Produktentwicklung setzt Hettich bei
der Stahlnutzung zudem auf optimiertes Materialmanagement: So viel wie
technisch nötig – aber so wenig wie möglich. Und damit die Werkstoffe am
Ende eines langen Produktlebens einfach wieder dem Materialkreislauf
zugeführt werden können, achtet das Unternehmen auf
Konstruktionssysteme, die ein möglichst sortenreines Recycling, einfache
Demontierbarkeit und werkzeuglose Trennung der Bauteile erlaubt. – Die
Kehrseite der Stahl-Medaille ist allerdings der erhebliche
Primärenergiebedarf bei der klassischen Herstellung in der
Hochofenroute.
Allein in Deutschland verursacht die Stahlindustrie aktuell rund ein
Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen. Um die Ziele der
europäischen Klimaschutzpolitik und der nationalen Klimaschutzpläne zu
erreichen, die bis zur Jahrhundertmitte eine Treibhausgasneutralität
fordern, muss die ressourcenintensive Stahlproduktion umgebaut werden.
Das 2020 gestartete „Handlungskonzept Stahl“ der deutschen
Bundesregierung setzt ein Signal für klimafreundlichen Stahl „made in
Germany“ und für die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft. Alle
namenhaften deutschen Stahlhersteller arbeiten derzeit an alternativen
Produktionsverfahren, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren und schließlich
ganz zu vermeiden. Perspektivisch können demnach Wasserstoff und Strom
aus regenerativen Quellen den bisher zur Stahlherstellung benötigten
Kohlenstoff komplett ersetzen und damit die CO2-Emissionen in der
Stahlerzeugung um mehr als 95 Prozent senken.
Vor diesem
Hintergrund will man bei Hettich rechtzeitig die Weichen neu stellen –
zumal die aktuellen Verwerfungen und Preisexplosionen auf den
internationalen Stahlmärkten für große Unsicherheit sorgen. Jürgen
Werner, Geschäftsführer Hettich: „Ein nicht unerheblicher Teil unserer
Kunden ist regional in Ostwestfalen-Lippe angesiedelt. Auch aus diesem
Grund sind wir bestrebt, die Supply Chain möglichst effizient und
krisensicher zu gestalten. Die Perspektive, mittel- oder langfristig
CO2-reduzierten Stahl aus deutscher Produktion beziehen zu können, wird
ein wichtiger Faktor für mehr Planungssicherheit und mehr Nachhaltigkeit
sein.”